Der Strassenfund - aus dem Leben eines Wadenbeissers

  • Tach zusammen!


    Mittlerweile sind hier ja Satzzeichen und Absätze nicht mehr so beliebt - dennoch möchte ich diese lustige Geschichte gut lesbar mit Euch teilen:


    Im März 2023 schickte mir Trailerking Transit Weimar eine total gemeine Nachricht mit den Worten "Das ist wahrscheinlich der letzte Escort aus Berlin den Du noch nicht gekauft hast!".

    Ha! Entgegnete ich - den beobachte ich auch schon ´ne Weile. Uns und anderen Ford-Jüngern war ein gut abgehangener grüner MK2 Escort aufgefallen, der offenbar havariert am Rande einer grossen Zufahrtstrasse in Berlin abgestellt war. Sehr zum Missfallen der Anwohner des feinen Stadtteils, aber zugelassen und mit H-Kennzeichen.



    Erstmal gefreut, dass jemand sowas im Alltag bewegt und dann immer mal wieder dran vorbei gefahren wenn es sich ergeben hat. Monatelang passierte da so gar nichts. Sichtbar wandelte sich das Grün in Richtung Schwarzgrau. Im Charme der Großstadt deformierten oder verdampften nach und nach Anbauteile wie Aussenspiegel & Wischerarme. Warum steht das da so lange ungenutzt? Was ist wohl die Geschichte dahinter? - fragte ich mich. Irgendwann gab ich mir einen Ruck und parkte mal direkt dahinter. Manchmal liegen ja so Zettel in der Windschutzscheibe, dachte ich mir - Fehlanzeige. Dazu war das Auto auch noch offen. Kein Wunder, dass da augenscheinlich schon diverse Kackvögel versucht hatten, im Inneren des Escorts das Bernsteinzimmer zu finden. Na ja - TÜV hat er ja noch, und Parken wird dem Besitzer schon niemand verbieten, dachte ich mir. Ich machte als Andenken ein Foto, schickte es dem Trailerking und fuhr weiter.



    Wieder vergingen diverse Wochen, in denen nichts passierte. Irgendwann erinnerte ich mich daran, dass da doch der Name irgendeiner Kfz-Werkstatt auf dem formschönen Kennzeichenhalter zu lesen war. Warum da nicht einfach mal anrufen, dachte ich mir und suchte nach der Werkstatt im Internet. Die gab es mittlerweile nicht mehr, wurde jedoch von einem ehemaligen Mitarbeiter unter neuem Namen weiter geführt. Am Telefon wollte man mir nicht so richtig Auskunft geben - ich könne aber gerne mal vorbei kommen. Gesagt getan. Bei der nächsten Gelegenheit hielt ich dort mal an und stellte mich vor. Ich erzählte davon, dass wir das Auto schon eine Weile beobachten und eigentlich nur unsere Hilfe bei Teileversorgung & Reparatur anbieten wollen. Man erinnerte sich tatsächlich an den Kunden und das Fahrzeug - der sei aber seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Seine Kontaktdaten waren aus Datenschutzgründen mittlerweile gelöscht und so einfach weiter geben darf man die ja auch bekanntlich nicht. Sackgasse - also war ich nicht wirklich weiter.



    Tage vergingen, doch die Sache ging mir nicht aus dem Kopf. Irgendwie muss es doch möglich sein, den Besitzer ausfindig zu machen, dachte ich mir. Aufrufe in irgendwelchen Internet-Foren waren mir irgendwie zu doof. Ich grübelte weiter. Warum nicht einfach mal bei der Polizei nachfragen? Oder bei der Zulassungsstelle? Ich hab´ da von Berufs wegen tatsächlich ein paar gute Kontakte und erzählte den Jungs von dem grünen Escort und meinen Absichten. Leider waren meinen Kontakten auch hier aus Datenschutzgründen die Hände gebunden. Da es ja auch nicht um einen Flügeltürer ging, wollte ich die Kontakte auch nicht unnötig strapazieren. Ist ja nicht so, dass ich noch keinen Ford Escort hätte. Also auch hier: Sackgasse. Mittlerweile parkte das Auto so lange dort, dass ihn auch das dämliche Google-Earth-Auto fotografiert hatte:



    Was also tun? "Lad doch einfach auf die Scheisse" - sagte jemand zu mir. Aber eine Straftat begehen wegen einem liegen gebliebenen Escort? Jemandem sein Eigentum weg nehmen, weil er sich nicht kümmert / kümmern kann und ich es zufällig gut finde? Das war keine Option für mich. Ich erzählte die Geschichte einem befreundeten Abschleppunternehmer - der hatte die zündende Idee: "Mach doch einfach eine Halterermittlung". Was mir gar nicht so klar war ist, dass jeder der ein (schönes Behördendeutsch) berechtigtes Interesse daran hat, die Daten eines Fahrzeughalters heraus zu finden, diese Daten bei der örtlichen Zulassungsstelle anfragen kann. Für freundliche 3,10 EUR bekommt man dann Name und Adresse des Halters mitgeteilt und kann dann zum Beispiel Bagatelle wie Parkrempler selbst mit dem Geschädigten klären. Gut auch, wenn jemand einem immer die halbe Einfahrt zuparkt und man nicht weiss wer. Nur zwei Tage später hatte ich ein Schreiben im Briefkasten mit einem Namen und einer Adresse.


    Was nun? Irgendwie Kontakt auf nehmen, klar. Also das Internet bemüht und tatsächlich auch eine Festnetznummer finden können. Nicht lange gefackelt und angerufen - ging natürlich keiner ran. Glücklicherweise hatte der Herr einen Anrufbeantworter. Beim Lauschen seiner selbst eingesprochenen Bandansage dämmerte mir schon, dass er wohl nicht aus der Gen-Z stammte. Transit Weimar sagte "der sitzt bestimmt in seinem Fernsehsessel und ist voller Maden". Schön, wie Internet & Streamingdienste die Phantasie der jungen Generation anregen, he he. Ich fuhr also das volle Programm: Geklingelt - keiner öffnete die Tür, Anrufe, auf den AB gesprochen & Hilfe bei Reparatur & Teileversorgung angeboten - keine Rückmeldung. Wie erreicht man den durchschnittlichen OHV-Escorthalter (Stichwort Nachkriegsgeneration) am besten? Na klar! Per Reichs- äh Briefpost! Also verfasste ich einen charmanten Brief und bot abermals die Hilfe unserer Community an. Ich wollte das Ding tatsächlich gar nicht kaufen. Warum tu ich mir das überhaupt an, fragte ich mich. Im Grunde wollte ich nur, dass das Schätzen wieder genutzt wird. Tollen Brief abgeschickt im Dezember 2023 - wieder passierte wochenlang nichts.

  • April 2024 - ich hatte eigentlich schon mit der Sache abgeschlossen. Hin und wieder fuhr ich mehr aus Zufall noch mal an dem Ding vorbei - eines Tages klingelte mein Mobiltelefon. Am anderen Ende war jemand, der seiner Stimme nach mindestens 100 Jahre alt war. Er sei der Halter des grünen Escorts und er würde meine in dem Brief angebotene Hilfe gerne annehmen. Er sei in den letzten Monaten viel unterwegs gewesen, hätte viel um die Ohren und schlichtweg nie die Zeit gefunden sich um den Escort zu kümmern. Zumal er ja eigentlich auch Vollblut-Motorradfahrer sei. Nicht lange gefackelt. Termin ausgemacht und mitm Schleppwagen abgeholt das Teil. Seiner Auskunft nach sei das Getriebe defekt - was ihn damals dazu zwang, das Auto mit letzter Kraft in eine Parklücke ausrollen zu lassen.



    Nachdem wir ein paar Blicke in das Fahrzeug geworfen hatten war ziemlich schnell klar: Das Getriebe ist kerngesund. Klassisch war es die Kugel aus Kunststoff, die sich altersbedingt und eventuell auch durch etwas ruppige Schaltvorgänge in ihre Einzelteile zerlegt hatte. Ausm Forum fix Ersatz besorgt (Danke Micik), dazu noch ein paar gebrauchte Aussenspiegel und einen gesunden Wischerarm - schon war die grüne Waffe wieder einsatzbereit. Bereits am nächsten Tag konnten wir dem glücklichen Besitzer mitteilen, dass er sein Fahrzeug wieder abholen kann. Gesagt getan. Pünktlich stand er am nächsten Tag bei uns in der Werkstatt. Mit dem freundlichen Hinweis, dass er doch mal über eine Konservierung nachdenken solle und dass er im Hinterkopf behalten soll, dass sein TÜV Ende des Jahres abläuft, fuhr er mit viiiiiiiel Gas und wenig Kupplung altersgemäß vom Hof.


    Wir verbuchten das ganze als lustige Geschichte und freuten uns, dass wieder ein Ford Escort mehr die Berliner Strassen unsicher machte. Ob der wohl wieder kommt? - fragten wir uns. Na ja - irgendwie war das ja auch absehbar. Relativ pünktlich nach Ablauf der HU meldete sich der Herr wieder. Mittlerweile war es Dezember 2024, der TÜV also schon ein Weilchen abgelaufen. Nun sei es der Anlasser, der Probleme macht. Der gelbe Engel wäre schon da gewesen, aber ratlos und unverrichteter Dinge wieder abgerückt. Außerdem wäre da ja die Sache mit dem TÜV. Ob wir nicht mal kucken können und so. Wir bearbeiten eigentlich keinen normalen Kundenverkehr alá Auspuff, Bremsen, Stoßdämpfer - aber Ehrensache dass wir den guten Mann nicht hängen liessen. Also noch mal eingeschleppt das Schätzchen und vorsorglich schon mal 2-3 gebrauchte Anlasser heraus gesucht. Nachdem wir diesen dann einfach mal versuchsweise getauscht hatten fiel uns eine sehr lustige Tatsache auf: Die Plusklemme war völlig lose. Kein Wunder also, dass der Anlasser nur noch tagesformabhängig Dienst leisten wollte. Mangels OBD-Schnittstelle war das dem scheinbar mässig motivierten gelben Engel nicht aufgefallen. Dabei ist der Motorraum des MK2 Escort ja bekanntermassen recht aufgeräumt. Mit fest gezogener Klemme startete der Escort wie am ersten Tag, war abholbereit und der Besitzer stand kurz darauf wieder bei uns. Ich wies ihn auf die abgelaufene HU hin, worauf er entgegnete "Ja ja, der Beamte der im Bezirk Streife läuft hat mich schon aufm Kieker. Könnt Ihr denn nicht fix TÜV drauf machen?". Wir hatten bereits als er das erste mal bei uns war den Keks-artigen Karosseriezustand bewundert und ihm schon ganz vorsichtig versucht zu erklären, dass die für den TÜV notwendigen Karosseriearbeiten recht umfangreich und wirtschaftlich in Kombination mit denn dann erforderlichen Lackarbeiten wahrscheinlich gar keinen Sinn machen. Zumal wir uns solche Nägel ja wie erwähnt eigentlich gar nicht so gerne eintreten. Ganz lustig eigentlich, wie viel ich im Vorfeld dann aber doch getan habe, dass dieser Nagel mit 10 BAR Pressluft in meinem Fuß landet - verdammtes Helfersyndrom. Oder ist es meine Escort-Macke? Egal. Trotz freundlichem Hinweis auf die seit 4 Monaten abgelaufene HU und das von Aussen nicht ganz dem Anforderungskatalog für die Zuteilung des H-Kennzeichens entsprechende Erscheinungsbild , liess es sich der Besitzer nicht nehmen im Dezember 2024 abermals bei uns vom Hof zu fahren.


    Nun ja - lange Rede kurzer Sinn: Letzte Woche rief mich der Besitzer dann wieder an. Man habe ihm postalisch die Zwangsstilllegung angedroht wegen dem abgelaufenen TÜV und weil er mit seinem Auto mehrfach "unschön" in der feinen Nachbarschaft aufgefallen ist. "Die Karre muss von der Strasse", sagte er zu mir. Also haben wir es nun zum dritten mal eingeschleppt und abgemeldet. Irgendwie mag ich die Art von dem Typen und dass die versuchte Maßregelung der Mehlmützen so lange an ihm abprallte. Eigentlich ist er ja Motorradfahrer - das scheint aus Altersgründen aber nicht mehr so gut zu gehen. Dann hat er aber auch noch´n Auto sagte er mir. Ein VW New Beetle Cabrio mit 250.000 Km und Motorschaden und ob wir das nicht reparieren wollen. Puh - "Höchststrafe" sagte Moritz (Transit Weimar) nur dazu. Damit meinte er wahrscheinlich beides: So´n Auto freiwillig zu fahren und / oder an sowas zu schrauben, he he. Das wird aber wahrscheinlich das Ende der Geschichte werden. Wir besorgen ihm seinen Bürgerkäfig (muss Cabrio sein) - dafür dürfen wir dann seinen grünen Keks erben. Wie war das? Ich kaufe mir Arbeit? Egal - ich hab mich gefreut dem Typ helfen zu können, auch wenn unsere Geschmäcker beim Zweitwagen stark auseinander gehen.


    Wobei ich gestehen muss, dass ich im Alltag ja unter anderem auch Ford Mondeo Turnier fahre. Findet bestimmt auch nicht jeder geil. Aber Hey - 2t Anhängelast & ein sparsamer TDCi. Gutes Muli. Als ich die ersten Tage damit herum fuhr dachte ich "geil - endlich unsichtbar". Die Rennleitung sah das anders und bat mich prompt zur Verkehrskontrolle. "Wir halten Sie an, da wir aufgrund ihres jungen Aussehens mal prüfen wollten, ob sie schon einen Führerschein haben". Mit Blick auf mein Baujahr gab er mir dann leicht verwirrt ziemlich zackig meine Papiere zurück und wünschte mir gute Weiterfahrt und einen schönen Tag. Ja - ich könnte sein Vater sein. Meinen angehängten Trailer samt vollem Altölfass mit 200l wollte er sich erst gar nicht mehr ansehen. Vielleicht sind es auch diese kleinen Abenteuer, die uns Ecorthalter verbinden ;)



    Also, Danke fürs Zuhören / Lesen & hoch die Tassen!


    :fass:

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  • Schön! Ich hab nun nur die Hälfte gelesen weil die andere kannte ich ja schon vom Bier.

    Ist es nun wieder unwilder? Komm doch denn mal rum.

  • Ohh, wie schön! Eine tolle Geschichte. Danke fürs aufschreiben, mal schauen, was mit dem Escort passiert..


    Wo hatte der Typ die Karre eigentlich her? Ist ja jetzt nicht die erste Wahl, wenn man einfach nur ein günstiges Winterauto sucht..

  • Eine sehr schöne Geschichte, vor allem jetzt kenne ich die Hintergründe! Ich bin in den letzten zwei Jahren auch so oft an diesem Escort vorbeigefahren und habe mit Wehmut den schleichenden Verfall wahrgenommen.

    Schön das der Wagen in gute Hände gekommen ist.