• Aus OM 03/00; wollte ich euch nicht vorenthalten und habe das mal abgeschrieben:


    [SIZE=3]Alles original ![/SIZE]


    Wenn der Traum zum Alptraum wird


    Nachgefertigte Ersatzteile, neuzeitlicher Austauschkram?
    Um Gottes Willen!
    An einem alten Auto hat natürlich alles original zu sein - ausnahmslos..
    Am liebsten ist uns der vergessene Scheunenfund, 40 Jahre alt und noch nicht richtig eingefahren.
    Denn nur so wird der Abtransport zum echten Erlebnis...


    Da steht er, der Traum aller Jäger des verlorenen Schatzes: eine Heckflosse, Baujahr 1961, ein Besitzer im braunen Pappbrief eingetragen, 33000 Kilometer gelaufen, bis dahin selbstverständlich alle Kundendienste, letzter Eintrag 1971.
    Seitdem in einer Garage am Ferienhaus in der Toskana vergessen, nie abgemeldet, TÜV 6/72 natürlich ohne Mängel.
    Die TÜV-Plaketten 1972 waren also gelb - toll!
    Ein Dornröschen!
    Die Details jagen jedem Kenner Schauer der Ehrfurcht über den Rücken (und lockern dabei schon mal den Sitz des Portemonnaies): das Klebeschild mit den Einfahrvorschriften in der Windschutzscheibe, das Anhängeschild mit Hinweisen zum Radwechsel am Reserverad oder die vier Fensterkurbeln, die bei geschlossenen Fenstern alle in die gleiche, richtige Richtung zeigen. Hunder Prozent original ! Die Enkel des prominenten Erstbesitzers versichern, dass der Wagen nach fast dreißig Jahren sofort angesprungen ist. Sie wollen das gern glauben. Also nix wie los, rote Kennzeichen organisieren, um die Beute in die heimische Höhle zu schaffen. Die paar hundert Kilometer wird er doch wohl auf eigener Achse bewältigen - ist doch schließlich fast ein Neuwagen...


    Bereits auf der Heimfahrt zeigt sich das Zauberwort "Original " von seiner hässlichen Seite. Weil die originalen Reifen Geschwindigkeiten über 60 km/h nicht zulassen, entscheiden Sie sich für die Fahrt über Nebenstrecken. Ist ja auch viel schöner. Dabei gibt´s leider ein paar Pannen. Auf den ersten Kilometern zeigt sich, dass ein Mercedes scheinbar auch mit Petroleum fährt, aber der merkwürdige Abgasgeruch ist schlicht unwürdig. Deshalb steuern Sie die nächste Tankstelle an, obwohl die Tankanzeige noch auf dreiviertel voll steht. Glück gehabt: der Tankgeber ist wohl festgerostet, denn der Tank ist so gut wie leer. Mit frischem Super plus produziert der Motor nun auch keine blauschwarze Wolke mehr, sondern nur noch manchmal eine reinblaue, zum Beispiel beim Anlassen. Sie erhöhen bei der Gelegenheit gleich den Reifendruck von 0,7 auf vertrauenerweckende zwei bar - das Fahrverhalten verbessert sich. Allerdings zeigt der Reifen hinten rechts kurze Zeit später seitlich eine Blase. Sie entscheiden sich nach kurzer Bedenkzeit für das Reserverad, auch wenn es sich dabei um einen originalen Winterreifen mit Spikes handelt - das Fahrverhalten verschlechtert sich wieder.


    Die Motortemperatur steigt bedenklich. Sie haben noch mal Glück: es ist nur ein originaler Kühlerschlauch gerissen, den Sie an der nächsten Tankstelle durch einen mäßig überteuerten Universalschlauch ersetzen. Außerdem entdecken Sie, dass das starke Motordröhnen glücklicherweise nur von gerissenen, originalen Motorgummilagern verursacht wird. Den hässlichen Fleck unter dem Tank entdecken Sie praktischerweise, bevor er infolge eines schlicht abgebrochenen originalen Spritschlauches völlig leer ist. Der hilfsbereite Chefmechaniker repariert den Schaden zu einem vergleichsweise fairen Wochendtarif und macht, während Ihre stattliche Neuanschaffung oben auf der Hebebühne baumelt, freundlicherweise darauf aufmerksam, dass die Vorderachse des Schmuckstücks nur noch zart an Stoßdämpfern, Bremsschläuchen und Spurstangen hängt, was nicht mehr so ganz dem Auslieferungszustand entspricht. Aber Sie wollten ja ohnehin ein wenig langsamer fahren. Allerdings nicht so langsam, wie es der plötzlich immer häufiger aussetzende Motor nun erzwingt. Rostpartikel aus dem Tank haben sämtlicher Siebe und Filter verstopft. Also Schluss mit lustig und abschleppen. Wozu hat man Freunde?


    Fragen Sie vorzugsweise Eigentümer großer japanischer Geländewagen - diese sind fast immer gern bereit, Drehmoment und Traktion zu demonstrieren, außerdem ist der Flossenbenz am Haken fast sowas wie die Trophäe einer Großwildsafari und wird zügig gen Heimat geschleppt. Die Bremsmanöver, die nötig sind, um das Naturhanfseil straff zu halten, fordern auch ohne Servounterstützung den ganzen Mann - auch, weil die Lenkung zunehmend einseitig auf diese Manöver reagiert. Der Fahrer des Zugfahrzeugs reagiert natürlich nicht auf das müde Gefunzel der Lichthupe, welches diese noch erzeugt, und die Hupe hupt nicht. Offensichtlich sind die originalen Sicherungen an ihren originalen Kontakten korrodiert. Ihre Kommunikationsmöglichkeiten reduzieren sich auf hektisches Winken, was der Freund vor Ihnen bedingt durch seine höhere Sitzposition jedoch nur bemerken könnte, wenn Sie sich möglichst nah an die Windschutzscheibe drücken würden und er mal in den Spiegel sehen würde. Sie können aber nicht mehr hektisch winken, weil Sie jetzt beide Hände für´s Lenkrad brauchen, um die Fuhre einigermaßen auf Kurs zu halten. Die originalen Bremsschläuche sind zugequollen und lassen die origale Bremsflüssigkeit nicht mehr aus den Radbremsen abströmen. Die entstehende Hitze lässt die originale Bremsflüssigkeit sieden und die entstehenden Dampfblasen verstärken den andauerenden Bremsdruck. Sie sind original in Schwierigkeiten.


    Der gut gelaunte Fahrer des großen japanischen Geländewagens vor Ihnen reagiert auf den erhöten Rollwiderstand mit einem kleineren Gang und höherer Drehzahl, das Abschleppseil bleibt nun auch ohne Ihr Zutun völlig straff. Es riecht unangenehm! Es bremst unangenehm! Und es zieht unangenehm nach rechts! Ihr Wagen taucht zusehends vorn rechts ein und bekommt beängstigend Schlagseite - die Titanic sinkt!
    Sie haben wieder Glück: in einer halsbrecherischen Aktion gelingt es Ihnen, Ihr Handy von der Rückbank zu angeln und das Zugfahrzeug anzurufen. Warum ist Ihnen das bloß nicht früher eingefallen? Die Fuhre kommt endlich zum Stehen - wie Sie unschwer am straff gespannten Seil und am dunkelroten Glühen des rechten Vorderrades erkennen, wird dieser Zustand mittelfristig anhalten. Im wirklichen Leben brennt jetzt gleich das Vorderrad lichterloh, hier kommt nun sinnvollerweise ein robuster Abschleppwagen mit original Kran...


  • Ist doch ganz lustig geschrieben, erinnert mich an den Kauf des eigenen Autos, wo das Wort original mindestens genauso oft auftauchte. Und genauso endete die Überführung auf eigener Achse am Abschleppseil :rolleyes:


    Kam aber nicht aus der Toskana, hat nicht gebrannt und die Originalreifen waren noch in Ordnung :]