10. November 2008
Für 300 Euro rettet Alf Cremers den Ford Granada III vor dem Schrott, um ihn wieder auf die Straßen zu bringen. 1.500 Euro später stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Aktion.
Für 300 Euro vor dem Verschrotten gerettet, soll der 83er Ford Granada noch einmal auf die Straße. Schafft er es mit vertretbarem Aufwand?
Mitleid ist ein schlechter Berater, vor allem beim Autokauf. So, wie reife beziehungsenttäuschte Frauen gern streunende, magere Hunde von der Algarve mit nach Hause schmuggeln, um sie dort aufzupäppeln, geht es mir mit Autos.
Die gute Tat: Rettung vor der Presse
Vor kurzem hatte es mich wieder erwischt. Bei meiner Internet-Recherche entdeckte ich bei einem Fähnchenhändler in Zeesen, 50 Kilometer südöstlich von Berlin, einen Ford Granada 2.3 GL - metallic, Automatik, Schiebedach. "Ist soweit okay, optische Mängel, aber fahrbereit", sprach der Händler am Telefon.
Zwei Jahre stand er schon bei Auto Kluny in Zeesen - und damit auf der Abschussliste. "Wenn Sie ihn nicht kaufen, kommt er morgen auf den Schrott", so der zermürbte Händler in nicht ganz akzentfreiem Deutsch. Er sah Scharen desinteressierter Polen, Ukrainer und Weißrussen an der großen alten Limousine vorbeiziehen. Bei 300 Euro schlug ich ein, überzeugt war ich nicht. Der Motor klapperte ziemlich - Kolbenkipper oder doch nur die Ventile?
Die 650 Kilometer lange Überführungsfahrt war eine Mutprobe. Die Bremsen zogen einseitig, das Automatikgetriebe schaltete spät, und an den Steigungen der A 9 im Fichtelgebirge und im Frankenwald ließen sich 90 km/h nur mit durchgetretenem Gaspedal halten, in Fahrstufe 2 versteht sich. Als ich zu Hause ankam, fehlten alle vier Original-Plastik-Radkappen. Aber sonst ist nichts passiert, selbst ein waidwund geschossener Ford schleppt sich noch ans Ziel.
Als das berauschende Erlebnis der geglückten Reise am nächsten Tag verflogen war und hartes Mittagslicht den Wagen schonungslos ausleuchtete, wurde mir klar, dass mein champagnergoldener Granada nur noch als Studienobjekt taugt.
Los geht's: 37 Punkte auf der Mängelliste
Den feinen Riss, der durch die Frontscheibe ging, hatte ich noch gar nicht bemerkt. Eine schonungslos aufgestellte Mängelliste umfasste rasch 37 Punkte. Dieses vernachlässigte, heruntergerittene Exemplar mit bösem Reparaturstau demonstrierte nahezu symptomatisch die typischen Schwachstellen der Kölner-Sechszylinder-Limousine. Kaum ein Karosserieteil, das nicht vermackt, angerostet oder angeschrammt war.
Wie aus Trotz keimte plötzlich Hoffnung auf. Immerhin sah das Interieur intakt und gepflegt aus, und die Schwächen von Motor und Getriebe könnten bei der robusten Mechanik vielleicht mit wenig Aufwand kuriert werden. Zumindest die tragenden Partien der Karosserie wirkten noch gesund. Für die Schrottpresse zu schade, beschloss ich - und fuhr zum Ford- Händler meines Vertrauens.
Werkstattmeister Wolfgang Gütter kennt die alten Ford aus dem Effeff und weiß genau um die Schwächen des Granada. Nach einer ausführlichen Probefahrt diagnostiziert er eine ganze Reihe.
"Die Automatik schaltet zu früh, der Kickdown kommt nur mit Verzögerung, das ist Einstellungssache. Der Motor hat keine Leistung und klappert deutlich, beides deutet auf zu großes Ventilspiel hin. Ein Kolbenkippen möchte ich ausschließen. Die Stoßdämpfer vorn sind ziemlich weich und die Bremskolben vorn fest. Das schwammige Lenkverhalten liegt an einem ausgeschlagenen Traggelenk, auch die Vorderachsgummis sind nach fast 25 Jahren mürbe." Auf dem Schlossblech der Fahrertür entdecken wir zufällig aufeinandergeklebte Ford-Inspektionsplaketten. Die letzte zeigt die Ziffer 80.000, das nur fünfstellige Zählwerk im Tacho 84.000 Kilometer, sicher sind es insgesamt 184.000. Die Technik ist also beherrschbar. Sogar ein paar Neuteile offenbaren sich auf der Hebebühne. Der rechte Auspuffstrang und der linke Bremssattel sind erst kürzlich erneuert worden. Auch der Endschalldämpfer zeigt nur leichten Flugrost.
Umfangreiche Blecharbeiten nötig
Gütter nimmt den Schraubendreher. Stochert genüsslich am rechten vorderen Längsträger herum - eine kleine Durchrostung, nur so groß wie eine 50-Cent-Münze, wird unter dem Unterbodenschutz sichtbar. Neben der Wasserablaufbohrung des Holms schimmert es zwar auch schon braun, die Spitze des Schraubendrehers fällt aber noch nicht durch. Schlechter sieht es dagegen im Heckbereich aus. Das Abschlussblech unter der Stoßstange beginnt an seinem Verstärkungsrahmen durchzurosten. Und die Reserveradmulde ist nicht nur porös, sondern auch noch schlecht beigespachtelt.
Die beiden langen, kastenförmigen Verstärkungsprofile am Wagenboden wiederum sind kerngesund, auch die Aufnahmen der aufwendigen Schräglenkerachse, die wie ein Fahrschemel ausgebildet sind. Darüber, an der Quertraverse, rostet es oft böse. Diese Stelle ist am besten vom Kofferraum aus sichtbar, bildet dort eine Stufe und wird, wie ein Warnhinweis, von einer großen Schraube markiert.
Ebenfalls gesund sind die birnenförmigen Schwellerenden rechts und links neben den vorderen Lagern der Schräglenker und die weniger stabilen Ausfall-Enden der A-Säule. Diese bilden unnötige Hohlraumtaschen, die gern durchrosten. Man kann sie bei eingeschlagenen Vorderrädern gut an den Verstärkungssicken erkennen und mit dem Schraubendreher bestens erreichen.
Kein Hexenwerk: Motor und Bremsen
Mechaniker Reinhard Köstler kümmert sich um den Motor. Er ist ein alter Hase, der Mann für schwierige Fälle. Mit den Einstellarbeiten am Granada-Motor ist er wenig gefordert. Luftfilter runter, Ventildeckel abschrauben, mit der Fühlerlehre die Ventile einstellen. Er arbeitet konzentriert wie ein Klavierstimmer. Neue Korkdichtungen legt er vor dem Zusammenbauen auf. Kümmert sich danach um den widerspenstigen Vergaser - die Startautomatik klemmt, die Drosselklappe ist schwergängig.
Köstler spricht nicht viel. Er meint, die Ventilschaftdichtungen gehören mal erneuert. Denn beim Warmstart verlässt eine kleine blaue Wolke den Auspuff des Granada. Die Reparatur ist beim V6 auch kein Hexenwerk, zumindest nicht für Köstler. Wir vertagen sie erst einmal und kümmern uns lieber um TÜV-relevantes. Denn nur mit seinem Segen kommt der Granada wieder auf die Straße, kann der Bedrohung durch den Shredder entkommen.
Van Thuong Pham stammt aus Vietnam. Der geschickte, ehrgeizige Mechaniker kümmert sich um die Bremsen. Blitzschnell sind die Vorderräder ab. Dann prüft er die Belagstärke, zerlegt den Sattel, macht die Kolben wieder gangbar und baut neue Beläge ein, damit die Bremsleistung die Werte des neuen Sattels erreichen und das lästige, einseitige Ziehen aufhört.
Auch die hinteren Trommelbremsen brauchen Pflege, das Handbremsseil ist schwergängig und muss eingestellt werden. Denn die Wirkung auf dem Bremsenprüfstand ist extrem unterschiedlich, obwohl die Beläge in Ordnung sind.
Die Frage nach dem Sinn...
Eine gebrauchte Windschutzscheibe findet sich im Altteilelager. Ein linker Scheinwerfer wird noch gesucht, der Reflektor ist angerostet, dies verleiht dem Granada den trüben Blick eines Greises. Mit den verrosteten nackten Stahlrädern und der rundum in Details ramponierten Karosserie entsteht so der Look eines Beirut-Taxis ohne Stern. Die Libanesen mögen auch die robusten Hecktriebler von Opel, Ford und Nissan.
Als homöopathisches Mittel gegen weiteren Verfall bestelle ich einen Lackstift Champagner-gold im Doppelpack. Den gähnenden Radioschacht füllt jetzt ein zeitgenössisches Blaupunkt Coburg. Das Schiebedach geht wieder, die Zentralverriegelung ebenso. Schnell die Rote Nummer montiert und auf zu einer ersten Ausfahrt im zweiten Leben des Granada.
Hat er es verdient? Emotional ein klares Ja. Der Wagen schnurrt wie eine Katze, leise und mit schönem sonoren Sound. Das milde Temperament ist wieder da, zum Cruisen ideal, nur die Automatik könnte noch lebhafter reagieren. Der Wagen liegt satt auf der Straße, bremst erfreulich. Das Raumgefühl ist herrlich.
Nüchtern kalkuliert bleibt es jedoch beim mitleidslosen Nein. Ein weit besseres Exemplar wäre unter dem Strich billiger. Trotzdem bleibt das gute Gefühl, einem alten Ford wieder auf die Straße geholfen zu haben.