Es gibt nur wenige Arbeitgeber, die Verständnis dafür aufbringen, wenn ihr Mitarbeiter alle Nasen lang für einige Wochen in die USA abhauen will. Darum bin ich wieder beim Sicherheitsdienst gelandet - meine alte Firma hat mich bereits zum dritten Mal angestellt.
Leider hat sie sich vergangene Woche mit einer Sonderbewachung gerächt - eine 12-Stunden-Nachtschicht auf einem verlassenen Bergwerk in der wohl totesten Region, die es im Ruhrgebiet gibt. Im eigenen Auto. Also nicht nur dort hinfahren, sondern auch arbeiten. 12 Stunden lang, im eigenen Auto. Die ganze Nacht. Montags bis freitags, 18 bis 6 Uhr - eine ganze verdammte Woche lang. Sitzen und ins dunkle Nichts gucken. Und versuchen, dabei nicht einzuschlafen.
Auf meine Frage an den Einsatzleiter, was denn dort sei, bekam ich nur zur Antwort: Nichts. Gar nichts. Und das war noch untertrieben. Dort ist wirklich NICHTS.
Während ich Nacht für Nacht die ehemalige Hauptpforte absichere, steht ein Kollege am anderen Ende des Geländes. Er fährt einen Audi 80 B4 1.8 Automatik. Und schon in der ersten Nacht stellt sich heraus, warum mein Detroiter Eisenschwein aus dem Hause Oldsmobile dem Ingolstädter Windkanal-Ei haushoch überlegen ist.
Der Audi, eng und ergonomisch geformt, bietet keinen Platz - weshalb sich mein Kollege zur jeden vollen Stunde die Beine vertreten muss, um keine Krämpfe zu bekommen. In der Zeit kann der Audi dann von innen austrocknen, weil die Karre bereits nach einer Stunde von innen beschlagen ist und von aussen wie ein Treibhaus ausschaut. Der Grund sind eine mausige Lüftung und eine Heizung, die kaum noch heizt, wenn der Motor erst einmal abgekühlt ist. Dementsprechend frostig gelaunt ist mein Kollege dann auch, wenn wir morgens unsere Schicht beenden.
Fröhliche Gesichter dagegen im Oldsmobile. Ist erst einmal die vordere Mittelarmlehne hochgeklappt, bietet sich dem Gast Platz in Hülle und Fülle. Die weiche Couch lädt zum Lümmeln ein, die bullige Heizung sorgt zu jeder Zeit für eine mollig warme Atmosphäre. Zudem beschlägt der Innenraum gar nicht erst, weil das Gebläse grundsätzlich in Stufe eins mitläuft und die Kabine gut entlüftet ist. Dabei muss der kuschelige Komfort nicht einmal teuer erkauft werden - der Cutlass verbrutzelt im Leerlauf kaum mehr Sprit als der Audi. Zahlreiche Ablagen bieten Platz für Thermoskanne, MagLight, Telefon und Fressalien; unzählige Leselämpchen im Wagenhimmel und den Sonnenblenden erleichtern nicht nur die Orientierung, sondern sorgen auch für eine dezente, clublounchartige Hintergrund-Beleuchtung.
Und was lernen wir daraus? Altkarre-Fahren ist nicht nur spassig, sondern auch gut für die Gesundheit und das Wohlbefinden.
Die Zufahrtsstrasse zum alten Bergwerk. Verlassen, vergammelt, zugewuchert. Selbst das Navi findet sie nicht.
Die abgesperrte Privatstrasse führt durch ein dunkles, einsames Waldstück - die 10 minütige Fahrt scheint ewig zu dauern. Auch Hänsel und Gretel wären hier mit Sicherheit umgekommen.
Und plötzlich, mitten im Wald, taucht plötzlich der Parkplatz auf. Und da ist wirklich NICHTS. Bei der Einweisung auf das Objekt heult in einiger Entfernung ein
einsamer Wolf - und mir wird klar: Nur echte Bärchen werden die kommende Nacht überleben.
Das alte Zechengelände, verrammelt wie Fort Knox. Also ins Gebäude einsteigen und mit der Kamera erkunden, was den Thrillfaktor meiner Nachtschicht deutlich erhöht hätte, fällt schon mal flach - Mist. Die Zeche ist aber bereits seit 1999 stillgelegt - worauf zur Hölle sollen wir denn dann überhaupt aufpassen?
Also erst mal ein paar Schnappschüsse fürs Familienalbum machen.
Und hier werde ich die kommenden 12 Stunden verbringen: auf der LKW-Waage des ehemaligen Hauptportals.
Mein "Arbeitsplatz" - mit 2 Kannen frischem Ostfriesen-Tee, Taschenlampe, Kuscheldecke, kulinarischer Verpflegung (und Laptop auf dem Rücksitz, um später "French Connection" im englischen Original zu schauen).
Ach ja - da war ja noch die Frage, worauf wir überhaupt aufpassen sollen: auf einen Bagger und einen Sandhaufen. Das war's. Mehr nicht. Unsere Anwesenheit hat dann wohl eher versicherungstechnische Gründe.
Halb drei. Mir ist langweilig. Tee ist alle, der Akku vom Laptop auch. Wenigstens blubbert der Cuttie zufrieden vor sich hin.
Kurz vor fünf. Ich bin müde, aber gut gelaunt. Mein Kollege in seinem Audi ist bestimmt längst erfroren - nachfragen kann ich aber nicht, denn hier gibt es NICHTS - nicht mal ein Handysignal. Ich denke lieber nicht über den Sinn unseres Diensttelefons nach, und wen wir ohne Signal um Hilfe rufen könnten, wenn jemand den Sandhaufen oder den Bagger klauen will. Aber ich könnte ihn wenigstens noch mit meiner MagLight verprügeln. Es ist der gute Wille, der zählt.